Nicola Graef

Quelle: Wikipedia

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Nicola Graef
Dokumentarfilm mit Haltung: Wie Nicola Graef Kunst, Politik und Gesellschaft ins Bild setzt
Nicola Graef, geboren 1970, zählt zu den profilierten deutschen Dokumentarfilmerinnen und Fernsehjournalistinnen ihrer Generation. Ihre Musikkarriere gibt es nicht – dafür eine konsequente, über zwei Jahrzehnte gewachsene künstlerische Entwicklung im Dokumentarfilm, in der Reportage und in seriellen Formaten. Ob Atelier-Alltag großer Maler, die stille Einsamkeit der Großstadt oder Grenzerfahrungen internationaler Diplomatie: Graef verbindet präzise Recherche mit atmosphärischer Bildsprache, klarer Dramaturgie und spürbarer Nähe zu ihren Protagonistinnen und Protagonisten. Ihre Werke entstehen für Kino, ARD, ZDF und Arte – oft mit nachhaltiger Resonanz in der Kultur- und Feuilletonlandschaft.
Biografie: Studium, Redaktion, erste Regiearbeiten
Die künstlerische Handschrift von Nicola Graef wurzelt in einer soliden fachlichen Basis. Sie studierte Germanistik, Theaterwissenschaft und Philosophie in München, ergänzte ihre Ausbildung in London mit einem Master of Arts in Theatre Studies und arbeitete anschließend als freie Autorin und Journalistin in den Londoner Studios von ZDF und NDR. Nach einem Volontariat beim NDR wechselte sie in die Redaktion, wo sie kulturjournalistische Formate und Vorabendprogramme betreute – eine praxisnahe Schule für Recherche, Interviewführung, Komposition und Redaktion von dokumentarischen Stoffen. Die frühe Redaktionsarbeit sensibilisierte sie für Tonalität, Rhythmus und die Dramaturgie von Non-Fiction-Erzählungen.
Unternehmerischer Weg: Von Lona•media zu Graef Screen Productions
2002 gründete Graef gemeinsam mit Susanne Brand die Produktionsfirma Lona•media, mit der sie anspruchsvolle Dokumentationen und Reportagen für öffentlich-rechtliche Sender realisierte – darunter Beiträge für die Reihen 37 Grad und Menschen hautnah. Parallel moderierte sie zwischen 2003 und 2006 die WDR-Livesendung Westart am Sonntag und leitete bis 2008 den Hamburger Kunstraum plan b. 2023 folgte der nächste Entwicklungsschritt: die Gründung der Graef Screen Productions GmbH in Berlin. Die Firma erweitert das dokumentarische Portfolio um fiktionale Stoffentwicklungen und bündelt Graefs Erfahrung in Entwicklung, Produktion und Regie komplexer Kultur- und Gesellschaftsthemen.
Ikonen der Gegenwartskunst: Ich. Immendorff (2008) und Neo Rauch – Gefährten und Begleiter (2016/2017)
Mit Ich. Immendorff schuf Graef 2007/2008 ein berührendes, unpathetisches Künstlerporträt über Jörg Immendorff, das seine Arbeit, seine ALS-Erkrankung und seine künstlerische Disziplin in intimen Nahaufnahmen einfängt. Der Film mischt Atelierbeobachtungen, Gespräche mit Weggefährten und präzise Auswahl von Archivbildern zu einer klar komponierten Chronik, die künstlerische Positionen und biografische Brüche erfahrbar macht. Ihre Langzeitbeobachtung setzte Graef in Neo Rauch – Gefährten und Begleiter fort: Über drei Jahre begleitete sie den Leipziger Maler im Studio und auf Reisen. Hier verdichtet sich ihr dokumentarischer Stil – beobachtende Kamera, konzentrierte Tonspur, sorgfältiges Arrangement von Sequenzen – zu einer Studie über Arbeitsritual, Bilddenken und künstlerische Selbstverortung innerhalb der Neuen Leipziger Schule.
Serielles Erzählen: Hotel-Legenden und kulturhistorische Perspektiven
Die vierteilige Reihe Hotel-Legenden, 2020 in der ARD ausgestrahlt, zeigt Graefs Gespür für serielles Storytelling. Jede Folge öffnet ein eigenes kulturhistorisches Fenster – vom Pariser Le Bristol über das American Colony in Jerusalem bis zum Genfer Beau Rivage und Berlins Adlon – und entfaltet soziale, politische und künstlerische Verästelungen dieser Häuser. Charakteristisch ist die Montage: Zeitzeugenberichte, Architekturdetails, historische Bilder und Gegenwartsbeobachtungen greifen ineinander. Die Serie belegt Graefs Fähigkeit, Orte als Resonanzräume europäischer Geschichte zu erzählen, ohne den Menschen aus dem Blick zu verlieren.
Kino mit gesellschaftlicher Tiefenschärfe: Eine einsame Stadt (2020–2021)
Mit Eine einsame Stadt richtet Graef den Blick auf urbane Isolation – ein Thema, das lange vor pandemischen Diskursen künstlerisch relevant war und sich seit 2020 in neue gesellschaftliche Kontexte einschreibt. Ihre Kamera bleibt nah an Gesichtern, Gesten, Wegen durch die Stadt; die Dramaturgie folgt nicht dem Effekt, sondern dem Nachhall: Einsamkeit wird als strukturelles, städtisches Gefühl erfahrbar. Kompositorisch setzt der Film auf ruhige Beobachtung, prägnante O-Töne und eine Tonarchitektur, die Stadtklänge als semantische Spur nutzt. So entsteht ein Essay über Sichtbarkeit, Rückzug und die Sehnsucht nach Resonanz in der Metropole.
Aktuelle Projekte 2024–2025: Außenpolitik am Limit und Einsame Spitze
In der jüngsten Werkphase vertieft Graef ihre politische Analyse. Außenpolitik am Limit (Erstausstrahlungen 2025) begleitet die damalige Außenministerin Annalena Baerbock durch internationale Krisensituationen und spiegelt den Anspruch einer menschenrechtsorientierten, feministischen Außenpolitik an deren operative Grenzen. Die Regie arbeitet hier mit Mitteln des politischen Dokumentarfilms: eng geführte Reisebegleitungen, Sitzungsbeobachtungen, Einschätzungen aus Diplomatie, Sicherheitspolitik und Völkerrecht. Zuvor widmete sich Einsame Spitze (Erstausstrahlung 2. Juni 2023, ARD) dem Krisenmanagement deutscher CEOs – ein Blick in Führungsrealität zwischen Stakeholdern, Lieferketten, Digitalisierung und gesellschaftlicher Verantwortung. Beide Arbeiten verbinden aktuelle Zeitdiagnose mit dem genauen Blick für Sprache, Körpersprache und die akustische Textur von Macht- und Verhandlungssituationen.
Stil und Handschrift: Beobachtung, Nähe, Montage
Formal steht Graef für eine beobachtende Kamera, die Vertrauen herstellt und Distanz produktiv macht. Ihre Komposition bevorzugt klare Achsen, Licht, das Arbeitssituationen nicht veredelt, sondern strukturiert, und eine Schnittdramaturgie, die Haltung zeigt, ohne Thesen zu drängen. In der Produktion ihrer Filme hört man eine sorgfältig gestaltete Tonspur: Räume klingen, Pinsel knirschen, Straßen atmen – akustische Details bilden die unsichtbaren Klammern der Szenen. Dieses Arrangement schafft Erzählrhythmus und verleiht den Protagonistinnen und Protagonisten eine Umgebung, in der sich Ambivalenzen entfalten dürfen.
Thematische Konstante: Kunst als Labor gesellschaftlicher Fragen
Ob Künstlerporträt, Stadtessay oder Polit-Dokumentation – Graef begreift Kunst als Methode, Welt zu lesen. Ihre Filme machen Arbeitsprozesse sichtbar: Zeichnen, Malen, Proben, Verhandeln. Gleichzeitig verhandeln sie Werte – Freiheit, Verantwortung, Empathie – in konkreten Situationen. Diese Verbindung von künstlerischer Praxis und gesellschaftlicher Einordnung erzeugt Relevanz. Sie positioniert sich als Autorin, die nicht den Skandal sucht, sondern die Konzentration: auf Werk, Handlung, Konsequenz. Dadurch wirken ihre Filme nach – in Feuilleton, Fachöffentlichkeit, Publikum.
Einordnung und Einfluss: Zwischen Kulturjournalismus und Kinodokumentarismus
Graefs Werk lässt sich zwischen zwei Polen verorten: kulturjournalistische Präzision und kinodokumentarische Geduld. Aus der Redaktionserfahrung stammen strukturierte Recherche, verlässliche Quellenarbeit, die Fähigkeit zur Verdichtung. Aus dem Kino der langen Beobachtung kommt das Vertrauen in Zeit, Prozess und Unvorhergesehenes. Diese Synthese macht ihre Arbeiten anschlussfähig – in Mediatheken und Festivals, im Programmkino und im Diskurs über demokratische Öffentlichkeit. Ihre künstlerische Entwicklung zeigt, wie dokumentarische Produktion heute navigiert: zwischen Sendervorgaben, Kinoauswertung, internationalen Koproduktionen und digitalen Archiven.
Auszeichnungen und Resonanz
Für ihre journalistisch-dokumentarische Arbeit erhielt Graef u. a. den CIVIS Medienpreis (2006, Information) sowie den CIVIS Fernsehpreis (2012). Kritiken zu Ich. Immendorff und Neo Rauch – Gefährten und Begleiter heben die unmittelbare Nähe zu den Künstlern, die kluge Auswahl der Gesprächspartner und die Ruhe der Beobachtung hervor. Außenpolitik am Limit fand 2025 besondere Beachtung, weil der Film – jenseits tagespolitischer Schlagzeilen – den Spannungsbogen zwischen Anspruch, Krisenrealität und Kommunikationszwang ausleuchtet.
Arbeitsweise und Produktion: Redaktion, Dreh, Postproduktion
Die Produktionsprozesse ihrer Filme folgen einer klaren Architektur: Themenfindung und Vorrecherche; Vertrauensaufbau und Zugänge; schmale, mobile Drehteams; Postproduktion mit Augenmerk auf Atmo, Musik und eine Verdichtung, die ohne Überdruck funktioniert. In der Bildgestaltung bevorzugen ihre Teams die unaufgeregte Kamera mit behutsamen Bewegungen und kompositorischer Strenge. Der Schnitt arbeitet mit Wiederkehr-Motiven – Gesten, Orte, Sätze –, die sich im Verlauf semantisch aufladen. So entsteht ein dokumentarischer Spannungsbogen, der Erkenntnis statt Effekt belohnt.
Ausgewählte Filmografie (Kurzübersicht)
• Ich. Immendorff (Regie, Buch, Produktion; Kino: 22. Mai 2008) – Langzeitbeobachtung eines Künstlers im Angesicht der Krankheit.
• Neo Rauch – Gefährten und Begleiter (Regie, Konzept, Produktion; DOK Leipzig-Weltpremiere: 2. November 2016; Kinostart: 2. März 2017) – Atelierfilm und Reise durch das Werk eines der prägenden Maler der Gegenwart.
• Hotel-Legenden (ARD, 2020; vier Teile) – Kulturgeschichte im Spiegel großer Häuser.
• Eine einsame Stadt (Premiere DOK Leipzig: 27. Oktober 2020; Kinoveröffentlichung in Deutschland 2021) – Urbanes Essay über Isolation und Sehnsucht.
• Einsame Spitze – Vorstandsvorsitzende (ARD-Erstausstrahlung: 2. Juni 2023) – Führung in der Krise, dokumentiert mit analytischem Blick.
• Außenpolitik am Limit (Arte/WDR-Erstausstrahlungen 2025) – Diplomatie im Stresstest, zwischen Werten und Wirklichkeit.
Fazit: Warum Nicola Graef wichtig ist
Nicola Graef steht für Vertrauen in die Wirklichkeit und die Kunst des Weglassens. Ihre Filme zeigen, wie viel erzählerische Kraft in präziser Beobachtung und feiner Montage liegt. Wer verstehen will, wie Kunst entsteht, wie Städte fühlen und wie Politik unter Druck kommuniziert, findet in ihrem Werk eine verlässliche, empathische und zugleich analytische Perspektive. Empfehlung: Die Filme im Kino oder bei Festivalauswertungen zu erleben – dort, wo Bilder, Räume und Ton ihre volle Wirkung entfalten.
Offizielle Kanäle von Nicola Graef:
- Instagram: Kein offizielles Profil gefunden
- Facebook: Kein offizielles Profil gefunden
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- Spotify: Kein offizielles Profil gefunden
- TikTok: Kein offizielles Profil gefunden
Quellen:
- Wikipedia – Nicola Graef
- filmportal.de – Nicola Graef (Biografie & Filmografie)
- filmportal.de – Neo Rauch – Gefährten und Begleiter (Credits, Startdaten)
- Deutsche Welle – Feature zu Neo Rauch – Gefährten und Begleitern (3.2.2017)
- ARD Mediathek – Außenpolitik am Limit (WDR.DOK, 4.6.2025)
- Crew United – Außenpolitik am Limit (Produktionsdaten, Erstausstrahlung 3/4/2025, Arte)
- Crew United – Einsame Spitze – Vorstandsvorsitzende (Erstausstrahlung 2.6.2023, ARD)
- Berlin Science Week – Speaker-Profil Nicola Graef (Projektübersicht, 2025)
- Graef Screen Productions – Teamseite Nicola Graef (Vita, Firmengründung 2023)
- Graef Screen Productions – Kontakt & Impressum (Geschäftsführung)
- Letterboxd – Eine einsame Stadt (Premiere DOK Leipzig 27.10.2020, Kino 2021)
- filmportal.de – Ich. Immendorff (Credits, Kinostart 22.5.2008)
- Wikipedia: Bild- und Textquelle
